Tony, du gilst als Wunderkind am Herd. Was hast du selbst als Kind am liebsten gegessen?
Eine ganz einfache Speise: Quark mit Kartoffeln und Leberwurst. Das gab’s bei uns zu Hause häufig sonntags und es schmeckt mir bis heute top, vor allem im Sommer. Wichtig natürlich: Es müssen gute Kartoffeln sein, dazu ein kühler Quark und eine herzhafte Wurst. Lecker!
Mit Amex ins Jante in Hannover
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Hast du dich von klein auf fürs Kochen interessiert?
Auch wenn es schön klingen würde, aber nein, ich habe mit Mama nicht jeden Sonntag in der Küche gestanden und gekocht. Aber ab einem gewissen Alter wurde ich von den Erwachsenen ständig gefragt, was ich denn werden wolle, wenn ich mal groß bin. Und da habe ich einfach Koch gesagt.
Keine Ahnung warum, aber ich hatte von da an jedenfalls eine Antwort parat. Und als ich eines Tages mit der Schule fertig war und eine Ausbildung brauchte, bin ich einfach bei Koch geblieben.
Wie ging’s weiter?
Wir haben geschaut, welche Restaurants gut wären zum Lernen. Ich wollte vor allem aus meinem Dorf in Sachsen raus, was von der Welt sehen und wäre ja auch in die Schweiz oder nach Österreich gegangen. Aber das war meiner Mama zu weit weg, ich war damals ja gerade mal 16 Jahre alt. Also haben wir uns auf das Hotel Maritim am Flughafen Hannover geeinigt.
Der Anfang war übrigens ziemlich ernüchternd, da wurde ich in der Großküche eingesetzt und musste als Auszubildender erst mal Karotten ohne Ende schnibbeln und Tomate-Mozzarella-Platten im Akkord legen. An der Stelle habe ich mich gefragt, ob ich das mein Leben lang machen möchte.
Mein Glück war, dass es in dem Hotel auch ein Restaurant gab, das à la carte kochte, auf sehr gutem Niveau. Und dort bin ich im zweiten Lehrjahr so reingerutscht und habe gemerkt, dass es beim Kochen auch andere Dinge gibt. Der kreative Faktor, das Tempo, all das hat mir richtig gut gefallen – und zack, war ich angefixt von der Kochsituation.
Kurz nach der Ausbildung bist du im renommierten Adlon in Berlin gelandet. Wie kam es dazu?
Eine ehemalige Arbeitskollegin hatte mir von der freien Stelle dort erzählt und plötzlich war ich zum Probearbeiten dort und wenig später angestellt. Verrückt, wirklich, wenn man von der Ausbildung in eines der namhaftesten Häuser Europas kommt.
Zu dem Zeitpunkt hatte das Lorenz Adlon Esszimmer einen Michelin-Stern. Aber der damalige Küchenchef dort, Hendrik Otto, war ziemlich ambitioniert und einer der besten, die es in Deutschland zu der Zeit gab – und nur drei Monate später hatten wir zwei Sterne. Ab dem Punkt ging es dort dann richtig ab. Eine verrückte, intensive Zeit. Superanstrengend und superlehrreich.
Gab es besonders prägende Momente?
Wie speziell es dort ist, wird dir klar, wenn du siehst, dass in der Küche eine Neun-Mann-Brigade werkelt, plus Servicekräfte – für 25 Gäst:innen. Da weißt du: Okay, hier geht’s anders ab. Man merkt die ganze Zeit diese hohe Konzentration, wie fokussiert gearbeitet, wie viel Aufwand betrieben wird.
Anfangs musste ich mir Exceltabellen schreiben, was genau wozu gehört. Da standen dann zum Beispiel 320 Komponenten nur auf dem Posten Beilagen: Kräuter, Cremes, Gewürze etc.
Und auch wenn man da auf die Teller geschaut hat, welcher Aufwand betrieben wird, welche Genauigkeiten, welcher Fokus – das ist der Wahnsinn.
Warum gingst du zurück nach Niedersachsen?
Berlin ist eine kulturelle Hochburg, für ein Wochenende super. Aber die Stadt war mir ein Stück zu groß und zum Leben für mich etwas zu anstrengend. Darum bin ich zurück nach Hannover, mit dem mich ja schon viel verband – und auch da spielte mir der Zufall wieder in die Hände.
Das Restaurant Ole Deele in Burgwedel bei Hannover hatte einen sehr jungen Küchenchef, der auch bereits einen Stern für das Ole Deele geholt hat. Dort habe ich mich beworben – und es hat einfach gepasst. Als wir merkten, wir kommen gut miteinander klar, habe ich angefangen, meine Erfahrung aus Berlin in die Entwicklung der Küche zu stecken und gemeinsam mit ihm am Niveau, zu drehen.
Recht schnell bin ich dann stellvertretender Küchenchef geworden. Als er nach einiger Zeit woandershin wechseln wollte, hat er mich direkt als seinen Nachfolger vorgeschlagen – und der bin ich auch geworden. Da war ich gerade 23.
Zwei Jahre später eröffneten du und deine Partnerin Mona Schrader das Jante. Wie kam es dazu?
Mona hatte ich in der Ole Deele kennengelernt, sie arbeitete dort als Sommelière und später als Restaurantleitung. Wir haben uns viel ausgetauscht und gemerkt, dass wir ähnliche Vorstellungen davon haben, ein Restaurant zu führen.
Wichtig war uns zum Beispiel eine entspannte Atmosphäre, weg vom Pinguinservice, bei dem ständig jemand hinter dir steht und du dich nicht frei unterhalten magst. Und weil wir beide Lust hatten, das mal auszuprobieren, sagten wir: Los, machen wir uns selbstständig.
Zu der Zeit ahnten wir gar nicht, was da auf uns zukommt. Wir waren ja gerade Mitte 20. Schneller als wir dachten, war das passende Objekt da und wir in so einem Strudel – was wir plötzlich alles entscheiden und abgeben mussten! Mit 25 hast du keinen Schimmer davon, was dich erwartet, dieses Riesenkonstrukt mit Renovierung und Angestellten, dann zur Bank tingeln und versuchen, Kredite zu kriegen und so weiter.
Wie das Restaurant Jante zu seinem Namen kam
Als er gemeinsam mit Mona Schrader nach einem Namen suchte, habe er eine Reportage gesehen, in der US-Starkoch Anthony Bourdain – „Vorbild meiner Generation“ – in Kopenhagen mit René Redzepi unterwegs gewesen sei, dem dänischen Küchenchef und Mitbesitzer des weltbekannten Noma, einem der exzellenten Restaurants in Kopenhagen.
Redzepi habe das Jante-Gesetz vorgestellt, nach dem viele Dän:innen leben: Niemand soll von sich denken, etwas Besonderes zu sein, mehr zu wissen oder klüger zu sein als die Mitmenschen.
Tony dazu: „Da dachte ich, das ist genau, was wir machen möchten: eine entspannte, freundliche Atmosphäre auf Augenhöhe, bei der die Köch:innen servieren und unsere Gäst:innen sich so fühlen, als seien sie bei Freund:innen zu Besuch.“ So bekam das Restaurant seinen Namen.
Hattet ihr einen Plan B?
Nee. Aber wir haben uns gesagt: Okay, wenn es in den Sack geht, sind wir mit 35 trotzdem raus aus der Nummer. Zum Glück ist es nicht so gekommen. Die Presse ist mit eingestiegen – und als wir zwei Wochen vor der Eröffnung des Jante die Reservierungen freischalteten, hatten wir 200 Anfragen in den ersten 24 Stunden. Anfangs haben wir auch Mittagstisch angeboten, dafür standen die Leute bis zur Straße an, die konnten wir gar nicht alle bedienen.
Rieseninteresse von Anfang an – und wenig später der erste Michelin-Stern.
Eigentlich wollten wir diese Sternegeschichte gar nicht so hoch hängen. Wir hatten lediglich vor, unser eigenes Ding zu machen. Dann haben wir 2016 unseren ersten Michelin-Stern bekommen, als erstes Restaurant in Hannover seit 15 Jahren. Man kann sich denken, was daraufhin los war. Und relativ schnell kam der zweite Stern hinzu. So wurde ich zum jüngsten 2-Sterne-Koch Deutschlands. Das war schon Wahnsinn.
Wie würdest du eure Küche beschreiben?
Wir kochen in unserem Restaurant Jante komplett anders als im Adlon, das ja auch zwei Michelin-Sterne hat. Im Adlon habe ich gelernt, was Qualität bedeutet und dazu natürlich die Techniken der Haute Cuisine. Das Ole Deele war dann der Trigger im Hinblick auf die regionale Küche, die nun unser Markenzeichen ist.
Je älter ich wurde, desto mehr habe ich begriffen, wie sinnvoll es ist, Produkte aus der Umgebung zu nehmen und den Geschmack der Region zu spiegeln. Das sind ganz andere Konstrukte, als wenn du den Gäst:innen zum Beispiel argentinisches Rumpsteak servierst, mit irgendeiner Kräuterbutter aus Frankreich und Babykarotten aus Japan.
Lieblingszutaten: Tony Hohlfelds Top 5
- Salz: „Ohne geht gar nicht. Mein Lieblingsgewürz.“
- Haselnüsse: „Megagut. Werden bei uns fast in jedem Menü verarbeitet.“
- Pilze: „Ein Riesenthema, bei dem es auch so eine unglaubliche Bandbreite gibt. Die liebe ich.“
- Saibling: „Von diesem Fisch bin ich ein Riesenfan. Er kann auf unglaublich viele unterschiedliche Weisen verarbeitet werden.“
- Zwiebel: „Auch so ein Produkt, mit dem sich unglaublich vielseitig arbeiten lässt. Die habe ich mir sogar tätowieren lassen.“
Wenn ich selbst in einem anderen Land essen gehe, möchte ich ja auch lokale Leckereien probieren und nicht irgendeinen Abklatsch. Niemand in Italien kocht französisch, warum sollen wir das dann machen? Nichts gegen die Kolleg:innen. Klar gibt’s top asiatische Restaurants, etwa von Tim Raue, das sind dann aber Alleinstellungsmerkmale.
Wir haben irgendwann entschieden, wir wollen keine Zutaten, die mit dem Flugzeug oder per Schiff kommen. Wir konzentrieren uns auf die Region – und da bekommen wir unglaublich viel. Ingwer und Zitronengras bauen wir neuerdings mit einer Gärtnerei aus der Gegend an, selbst Garnelen bekommen wir aus einer Farm im niedersächsischen Gronau.
Aber wir sind jetzt nicht total streng, benutzen zum Beispiel auch Zitronen oder Pfeffer. Ich würde also sagen, wir machen eine Art avantgardistische neue deutsche Küche.
Inwiefern seid ihr avantgardistisch?
Wir versuchen ständig, uns fortzuentwickeln, feilen viel an den Techniken. Fermentation und Einlegen sind zum Beispiel Wege, um ganz neue, aufregende Geschmäcker und Aromen zu kreieren. Zum Beispiel die Stachelbeere, die liebe ich im Sommer: Fermentiert und mit Peperoni kombiniert, wird die zu einer Art Sweet-Chili-Chicken-Soße, aber komplett regional.
Was wirklich Neues zu erfinden, ist sowieso superschwierig. Wenn ich fünf neue Kreationen im Jahr schaffe, ist das eine Menge. Da spielen unheimlich viele Faktoren zusammen, es stellen sich Fragen wie: Wie kannst du das kombinieren? Wie darbieten? Wie viel darf davon auf den Teller?
Wann ist ein Essen gelungen?
Das ist superschwierig zu beantworten. Alle haben ja eine andere Vorstellung von dem, was sie mögen oder von dem, was sie auf der Karte lesen. Dazu kommt das Ambiente. Am Meer schmeckt eine Muschelpasta fünfmal besser als zum Beispiel an einem grauen Wintertag in Hannover.
Es kommt auf den Flow an und auf die Menschen um dich herum. Ein perfektes Essen gibt es nicht, glaube ich. Es geht darum, den Gaumen anzuregen. Würden wir nur das machen, was möglichst vielen schmeckt, hätten wir ein Burger- oder Pizzarestaurant. Wir möchten unsere Gäst:innen vielmehr auf eine kulinarische Reise mitnehmen und eine Bandbreite an Geschmäckern und Aromen vorstellen. Gerichte, über die man länger nachdenkt, die Diskussionen auslösen.
Ich selbst brauche manchmal auch ein, zwei Tage, um zu verarbeiten, was ich in einem Restaurant gegessen habe. Darum geht’s. Wie bei einem Kinofilm oder einer Oper, die man erst mal sacken lassen muss, und die nach der Vorstellung noch nachklingen.
Mona und du, ihr habt einen Sohn. Was isst er am liebsten?
Seine Vorlieben sind überschaubar und typisch Kind: Pizza, Pommes, Nudeln. Und zum Frühstück seit drei Jahren täglich Milchbrot mit Butter und Erdbeermarmelade. Im Kindergarten isst er übrigens angeblich immer viel mehr als zu Hause und probiert mehr aus. Aber er findet auch, dass die Kitaköchin es besser draufhat als seine Eltern.
Zur Person Tony Hohlfeld
Nach Stationen im Hotel Adlon in Berlin sowie im Sternerestaurant Ole Deele in Burgwedel eröffnete er gemeinsam mit seiner Partnerin Mona Schrader 2015 das Restaurant Jante in Hannover. Ein Jahr später erhielt es seinen ersten Michelin-Stern, 2020 kam der zweite hinzu. Im Jante kümmern sich 10 Mitarbeitende in entspannter Atmosphäre um maximal 28 Gäst:innen.