Frau Gockel, wie geht guter Stil?
Charakterstärke hat viel mit Stil zu tun. Die siehst du in der Kleidung und Haltung eines Menschen. Ein stilsicherer Mensch schafft es, seinen Charakter und seine Hülle in Einklang zu bringen. Wenn das noch mühelos wirkt, ist das guter Stil für mich. Was ich total interessant finde: Demenzkranke verlieren als Letztes ihren Sinn für Ästhetik, haben Forscher:innen herausgefunden. Das zeigt, wie stark Stil und Ästhetik mit dem menschlichen Gehirn verbunden sind. Faszinierend, oder?
Haben Sie Stilvorbilder?
Auf jeden Fall Rei Kawakubo mit ihrer Kollektion Comme des Garçons. Ich mag ihre Extremität als Quereinsteigerin in der Mode – immer eigen, immer unabhängig vom Markt mit einem starken Wiedererkennungswert. Ich liebe Designer:innen und Kollektionen mit eigenem Charakter, gerne auch etwas unkonventioneller. Die es auch so meinen, wie sie es machen. Die nicht nur Trends hinterherjagen, um möglichst viel abzuverkaufen.
Muss eine Kollektion denn immer trendy sein?
Zeitlos, aber im Zeitgeist, würde ich sagen. Wir integrieren trendige Elemente. Die Kollektion an sich ist aber zeitlos. Meine Stücke kannst du auch nach zehn Jahren noch tragen und bist damit gut angezogen. Wir haben auch Kund:innen, die nach mehr als fünf Jahren zu uns kommen, um einen Knopf auszutauschen. Das machen wir. Und wenn wir diesen Knopf nicht mehr haben, bekommt das ganze Stück eben neue Knöpfe.
Im Team ist mir der Austausch zwischen verschiedenen Altersgruppen total wichtig. Ich maße mir mit 54 Jahren nicht mehr an, zu wissen, was auf der Straße trendy ist. Dafür habe ich aber zum Beispiel eine junge Stylistin, die das genau weiß und ihre Einflüsse mit meinen verbindet. So kannst du deinem Charakter in der Kollektion treu bleiben und bist trotzdem trendy.
Wie entstand die Idee zu Ihrer neuen Kollektion „Weltgewand(t)“?
Wenn ich nicht Modedesigner:in geworden wäre, hätte ich versucht, Kanzlerin zu werden (lacht). Die Aussage einer Kollektion ist für mich das Wichtigste. Vorher kann ich gar nicht anfangen, Design zu machen. So auch jetzt: Wir wagen dieses Jahr die Utopie einer Welt in Frieden und Freiheit – ein Plädoyer für Verständnis und Vielfalt der Menschen und ihren unverwechselbaren Kulturen. Unter dem Weltgewand(t) ist Platz für alle, die friedlich nebeneinander leben wollen. Dieses Integrative ist für mich der Kern der Kollektion.
Von dieser – zugegeben etwas spirituellen – Idee haben wir uns inspirieren lassen, haben verschiedene Einflüsse und Materialien auf uns wirken lassen und versucht, aus der Verschiedenheit der Stoffe und Muster eine Harmonie entstehen zu lassen. Das Weltgewandte spiegelt sich übrigens auch in meinem Team wider – bei den 15 Personen des Kernteams in Frankfurt sind 15 verschiedene Nationen vertreten.
Wie geht es anschließend weiter?
Mit meiner Idee geht es zur Première Vision nach Paris (Weltmesse für Bekleidungsstoffe, Anm. d. Red.). Dort sehe ich bis zu 50.000 verschiedene Stoffe. Hier erwachen meine Designs zum Leben. Ausgewählte Proben lasse ich mir anschließend zuschicken. Daraus stellen mein Team und ich die Musterkollektion zusammen. Wir achten streng darauf, keinen Stoff zu verschwenden, machen zum Beispiel Scrunchies (geraffte Haargummis, Anm. d. Red.) aus den Schnittresten.
Handwerk made in Germany
Sie haben die Kollektion auf der Frankfurt Fashion Week gezeigt. Was hat Frankfurt Modemetropolen wie Paris voraus?
Ich habe bereits in Paris, London, Mailand und Berlin präsentiert, daher habe ich den Vergleich: Was Frankfurt so besonders macht, sind die Frankfurter:innen selbst – unglaublich offen. Gefühlt sind in Frankfurt alle willkommene Gäst:innen. Viele Menschen sind zugezogen, du hast ein internationales Flair in der Stadt. Sicher auch durch die Banken. Viele Leute denken, Frankfurt sei deswegen modisch eher konservativ. Das finde ich gar nicht. Diese Lust auf Mode und Style habe ich bisher in keiner anderen Stadt so erlebt.
Langjährige Partnerschaft: Anja Gockel und American Express
- Hautnah dabei: American Express hält ein reserviertes Ticketkontingent bereit – die Fashionshows des Labels sind ausschließlich für geladenes Publikum.
- Shop the runway: Im Anschluss an die Show können Kund:innen sich direkt von Anja Gockel und ihrem Team beraten lassen und die Kollektion physisch erleben, in einem extra dafür gestalteten Pop-up-Bereich.
- Nach Maß: Auch Schneidermeister:innen sind vor Ort – so können direkt Maße genommen und Termine vereinbart werden. Ein weiterer Vorteil: Kund:innen ergattern die Kollektion frisch vom Runway, bereits ein halbes Jahr vor allen anderen.
Haben Sie einen persönlichen Lieblingslook der aktuellen Kollektion?
Wir haben dieses Jahr einen Print aus aufwendig eingewebter Wolle – den haben wir extra für uns in Europa anfertigen lassen. Da steht „Dream“ drauf. Diese Stoffe und die Looks dahinter finde ich am stärksten pointiert zur Aussage der Kollektion – dem Traum einer Utopie des Friedens. Die vielleicht dann irgendwann keine mehr ist.
Viele Ihrer Models sind Tänzer:innen. Warum setzen Sie Ihre Kollektion so spektakulär in Szene?
Ich liebe die Macht der Inszenierung. Meine Mode hat grundsätzlich eine zweite Ebene. Die kannst du besser zeigen, wenn du nicht schnöde vor und zurück auf dem Runway läufst. Die Idee dazu ist während der Corona-Pandemie entstanden. Wir hatten das ganze Adlon gemietet und niemand durfte zuschauen. Diesen Platz wollten wir nutzen. Zusammen mit meiner Choreografin und Freundin Lia Kemendi haben wir dann Models von namhaften Tanzkompanien wie zum Beispiel der Pariser Staatsoper oder dem Friedrichstadt-Palast gecastet.
Sie sind seit mehr als 25 Jahren dabei: Wie schaffen Sie es, über all die Jahre erfolgreich am Ball zu bleiben?
Dabei hilft eine Weisheit, die ich von einem sehr guten Freund habe und schon lange beherzige. Es gibt zwei Devisen, nach denen du leben solltest, um nachhaltig glücklich zu werden: „Be who you are” und „count your blessings”. Ich war immer so, wie ich bin, und habe mich nie verbogen. Auch, wenn die Modewelt mich hier und da mal für meine Ideen beäugt hat. Dankbarkeit praktiziere ich auch – wir haben so viele Geschenke im Leben. Es lohnt sich, immer mal wieder innezuhalten und bewusst dankbar dafür zu sein.