Im Gespräch mit Spitzenkoch Benjamin Chmura

„Mein Kochstil? Die Reduktion auf das Wesentliche“

Aufsicht eines reduzierten Gourmet-Gerichtes mit weißem Spargel auf einem weißen Teller
Florian Heil
Florian Heil
Spitzenkoch Benjamin Chmura hat Anfang 2021 in dem Münchner Top-Restaurant Tantris die Nachfolge von 2-Sterne-Koch Hans Haas angetreten – und 2022 wurde das Restaurant erneut mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Welche Ambitionen der neue Koch noch hat, wie die Entwicklung eines neuen Gerichts abläuft und welche Zutaten er niemals verwenden würde, verrät Chmura im AMEXcited-Interview.

Herr Chmura, das Tantris hat unter Ihrer Leitung zwei Sterne vom Guide Michelin verliehen bekommen. Was gab den Ausschlag für diese herausragende Bewertung?

Im Tantris ist unsere Teamarbeit zu 99 Prozent der Schlüssel zum Erfolg. Wir sind elf Leute in der Küche, im Service etwa 15 Personen, alle neu hinzugekommen und verschiedene Nationalitäten. Es ist eine große Herausforderung, dass diese Zusammenarbeit perfekt funktioniert. Und dann kam ja auch noch die Pandemie dazwischen. Ein Großteil der Leute hat ein Jahr lang am Stück quasi nicht gearbeitet. Unter diesen Voraussetzungen sind zwei Sterne eine unglaublich schöne Würdigung unserer Leistung.

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Ist der dritte Stern erklärtes Ziel?

Das wäre ein Traum, ist aber nicht der Antrieb, der mich jeden Morgen aufstehen lässt. Drei Michelin-Sterne brauchen Zeit. Erst mal lautet das Ziel, zwei Sterne zu halten und die Gäst:innen glücklich zu machen.

Porträtaufnahme von Sternekoch Ben Chmura in weißer Kochjacke vor einer Betonwand

Können Sie immer nachvollziehen, warum ein Restaurant nun einen, zwei oder sogar drei Sterne bekommen hat?

Sehr schwierige Frage. Alle Restaurantkritiker:innen sind verschieden und legen andere Maßstäbe an. Entscheidend sind oft Kleinigkeiten in verschiedenen Bereichen: Wie sehen das Besteck und der Teller aus, wie ist der Service, wie die Qualität der einzelnen Produkte. In einem Sternerestaurant halten sich Gäst:innen ja in der Regel mehrere Stunden auf, da kommt es dann auf jedes Detail an.

Tantris: Spitzenküche seit 1971

Das Tantris eröffnete im Jahr 1971 und ist seit 1974 mit mindestens 2 Michelin-Sternen dekoriert. Es handelt sich um ein reines Menürestaurant: Mittags gibt es 4 oder 6 Gänge, abends 6 oder 8. Das Tantris versteht sich als eine moderne französische Hochküche, die geprägt ist von einem tiefen Verständnis für Produkte und deren Zubereitung. Ebenfalls zum Komplex gehört das À-la-carte- und 1-Sterne-Restaurant Tantris DNA, das von der französischen Küchenchefin Virginie Protat geführt wird.

Sie traten im Tantris in die Fußstapfen von Kochlegende Hans Haas, der seit 1991 durchgehend zwei Sterne verteidigt hatte. Spüren Sie großen Druck als sein Nachfolger?

Ich bin einfach ein noch recht junger Koch, der seinen Leidenschaften Kochen und Essen frönt und recht unbefangen an die Aufgabe herangehen konnte. Der Druck kommt nicht von außen, sondern eher aus mir selbst, weil ich jeden Tag tolle Gerichte abliefern möchte.

Innenraumaufnahme des Restaurant Tantris im Siebziger-Jahre-Design

Kochen Sie noch viele Gerichte aus der klassischen Küche Ihres Vorgängers?

Nein, kein Einziges. Jeder Koch hat seine eigene Geschichte und Identität und sollte diese in seinen Gerichten auch zum Ausdruck bringen. Es ist im Menürestaurant Tantris nicht unser Konzept, die Gänge anderer Chefköch:innen zu imitieren.

Zur Person: Benjamin Chmura

Benjamin Chmura absolvierte seine Kochausbildung am Institut Paul Bocuse in Lyon. Im Anschluss ging der Deutsch-Kanadier zur Familie Haeberlin in die Auberge de l’Ill, arbeitete in Paris bei Frédéric Simonin und bei Éric Briffard im Le Cinq und bei Arnaud Bignon im Londoner The Greenhouse. Vor seinem Umzug nach München war er Küchenchef im Troisgros in Roanne – der jüngste in der Geschichte des legendären Restaurants.

Ihnen wird ein frankophiler Kochstil zugeschrieben. Wodurch zeichnet sich diese Grande Cuisine aus?

Ob es sich wirklich um Grande Cuisine handelt, weiß ich nicht, aber ich habe 13 Jahre in Frankreich gearbeitet, und natürlich wurde meine Art zu kochen dort stark beeinflusst. Die Basis sind wertvolle und hochwertige Produkte sowie ein großes Augenmerk auf Soßen, die in Frankreich für die wahre Kochkunst stehen. Ansonsten eher die Reduktion auf das Wesentliche. Ein Crèmchen hier und ein Schäumchen da wird es in meiner Küche nicht geben. Durch meine deutsche Mutter und meinen israelischen Vater kommen noch Einflüsse aus diesen beiden Regionen hinzu.

Aufsicht eines reduzierten Gourmet-Gerichtes mit Hummer auf einem weißen Teller

Sie sagten unlängst, Sie hätten Meerrettich für sich entdeckt. Gibt es noch andere Lebensmittel, die für Ihre Küche einen besonderen Stellenwert haben?

Alles, was saisonal aus dem Meer kommt wie Fisch, Meeresfrüchte oder Krustentiere, verarbeite ich unheimlich gerne. Das liegt vor allem an meinem herausragenden Fischlieferanten aus der Bretagne. Zudem bin ich ein großer Fan von Innereien, sehr einfache Produkte, die auf französische Art sehr geschmackvoll zubereitet werden können.

Gibt es Zutaten, mit denen Sie nicht arbeiten – aus ethischen oder geschmacklichen Gründen?

Aus ethischen Gründen Thunfisch, und auch Lachs nur sehr eingeschränkt. Beide Arten sind total überfischt und oft nur in schlechter Qualität verfügbar. Gerade beim Thunfisch sind die Fangmethoden auch sehr fragwürdig. Und auch beim Kaviar gibt es nur sehr wenige Sorten von vertrauten Anbietern, die ich verarbeite. Aus rein geschmacklichen Gründen lehne ich nichts ab, ich bin offen für alles.

Nahaufnahme einer exquisiten Vorspeise mit rotem Kaviar

Wie sieht der Prozess aus, wenn Sie ein neues Gericht entwickeln?

Der Prozess beginnt meist mit der Lieferung eines neuen Produktes. Beispielsweise eine neue Zucchinisorte, die bereiten wir auf verschiedene Weisen zu und probieren sie: roh, mariniert, gegart, geschmort und so weiter. Haben wir uns für die beste Variante entschieden, überlegen wir uns, was am besten dazu passen würde, ohne das Produkt zu denaturieren.

Da greifen wir gerne auf Aspekte des Foodpairing und diverse Kochbücher zurück. Der gesamte Prozess kann ein oder zwei Tage dauern oder auch mehrere Wochen, bis ein kompletter Gang steht. Es kommt auch vor, dass am Ende alles verworfen wird, weil es unseren Ansprüchen nicht gerecht wird.

Stilvoll übernachten und Essen in München

München hat nicht nur kulinarisch einiges zu bieten: Kunst- und Kulturliebhaber:innen kommen genauso auf ihre Kosten wie Freund:innen der lockeren Zusammenkunft in den zahlreichen Biergärten. Und wenn dann doch der Hunger einsetzt, gibt es neben dem Tantris noch weitere exzellente Sternerestaurants in München sowie rein vegetarische Lokale auf Top-Niveau. Wer in der bayerischen Landeshauptstadt eine Übernachtung benötigt, sollte sich die vielen herausragenden Münchner Boutiquehotels genauer anschauen.

Im Tantris werden abends ausschließlich Sechs- oder Acht-Gänge-Menüs serviert. Was zeichnet ein Chmura-Menü aus?

Jeder Gang eines Menüs ist bei uns eine Sequenz, die eine eigene Geschichte erzählen soll, aber auf die anderen Gerichte des Menüs abgestimmt ist. Dabei bieten wir in der Regel immer einen Gang mit Innereien, einen vegetarischen Gang und einen mit Fisch an, jeweils nach den saisonalen Gegebenheiten. Und auch das Winepairing ist immens wichtig.

Aufsicht eines reduzierten Gourmet-Gerichtes mit Entenleberterrine auf einem weißen Teller

Was ist das Signature-Gericht des Tantris?

Eigentlich ist es nach weniger als einem Jahr viel zu früh, das zu beantworten. Aber es gibt schon ein Gericht, das regelmäßig für Begeisterung gesorgt hat: Jakobsmuschel und schwarzer Trüffel im Teigmantel. Das werden wir zur passenden Saison wohl wieder auf die Karte setzen.

Das Galadinner zum 50. Geburtstag des Restaurants war komplett vegetarisch. Haben die geladenen Gäst:innen nicht komisch geguckt?

Keineswegs, sie waren begeistert. Ich glaube, es ist auch unter den Gourmets langsam angekommen, dass pflanzliche Lebensmittel einen größeren Anteil an der Nahrung einnehmen sollten. In einer Sternküche lässt sich die unglaubliche Geschmacksvielfalt auch hauptsächlich mit Gemüse abbilden.

Nahaufnahme Roter-Beete-Chips auf Schafskäse auf einem weißen Teller

Sie sind ein weltgewandter Koch – welches Land wird hinsichtlich der Restaurantszene unterschätzt?

Kein Land, aber ein Kontinent: Südamerika. Dort wird mit hervorragenden und vielfältigen Zutaten oft sehr spannend gekocht.

Welche Küche finden Sie faszinierend, weil Sie es selbst nicht hinbekommen würden, so zu kochen?

Sushi und andere japanische Gerichte. Bis die großen Sushimeister ihre finale Klasse erreicht haben, vergehen oft 30 Jahre oder mehr. Das ist ein Lebenswerk. Da kann ich nicht mithalten.

Was essen Sie an Ihren freien Tagen? Gibt es ein Cheat-Gericht?

Ich bin in München immer noch auf der Suche nach dem besten Döner, probiere mich fleißig durch. Gutes Essen ist, was glücklich macht. Das kann auch mal Fast Food sein oder eine Kartoffelsuppe nach Art meiner Oma.

Wie viele Stunden arbeiten Sie als Spitzenkoch in der Woche?

Würde ich die zählen, hätte ich schon längst aufgehört. An einem Arbeitstag stehe ich um 6 Uhr morgens auf und komme selten vor 2 Uhr nachts ins Bett – ohne den Abend nach der Arbeit noch ausklingen zu lassen. Und das vier Tage die Woche. Drei Tage habe ich frei. Mich zwingt allerdings niemand, solange im Betrieb zu sein, ich mache das freiwillig.

Sie sind jetzt Mitte 30. Träumen Sie manchmal davon, einem Job mit geregelten Arbeitszeiten nachzugehen?

Ich liebe meinen Job nach wie vor, die Tage gehen auch schnell vorbei. Meine Sehnsucht nach einem Platz im Biergarten am frühen Freitag- oder Samstagabend hält sich in Grenzen, auch wenn ich natürlich Freund:innen habe, die einen geregelten Tagesablauf haben und die ich dann nicht so oft sehen kann. Aber solange meine Frau zu Hause das noch mitmacht, fühle ich mich in meiner Rolle pudelwohl.

Rotes Schild mit dem Schriftzug des Restaurant Tantris in Nahaufnahme

Bei ihrem letzten Job haben Sie für ein ähnliches Pensum monatlich 2.200 Euro netto bekommen ...

Das war in der Tat mein Gehalt in Frankreich – ist aber ein generelles Problem in der Gastronomie: viele Stunden Arbeit und viel Stress für wenig Geld. Deshalb will auch kaum noch jemand solche Jobs machen. Für mich war Geld lange Zeit völlig unbedeutend in meiner Karriere. Ich hatte einen ganz anderen Antrieb, nämlich Liebe und Leidenschaft für den Job. Ich habe ja ein gutes Abitur in der Tasche, mir standen auch andere Wege offen. Im Tantris werde ich jetzt aber tatsächlich das erste Mal angemessen entlohnt.

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Sterneköche sind doch mittlerweile echte Stars – winken da keine Millioneneinkünfte?

Wir sind keine Fußballer. Mit der Sternegastronomie hohe Gewinne zu machen, ist auch extrem schwierig. Wenn du als Koch richtig Geld verdienen willst, musst du das regelmäßige Kochen in deinem Restaurant aufgeben, ins Fernsehen gehen und auf Werbe- und Sponsorendeals hoffen.

Und wann können wir Sie im Fernsehen kochen sehen?

Niemals. Da höre ich lieber auf.

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